Synthetische Biologie

Genetische Schaltkreise

Tony Petzold und Marleen Kreuzer

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Aus dem vorangegangen Thema wird die enorme Bedeutung des Designs metabolischer Prozesse deutlich, jedoch bleibt die Frage nach der gezielten Umsetzung offen. Je komplexer die metabolischen Prozesse sind, desto präziser muss deren Regulation erfolgen. Zur gezielten Regulation metabolischer Prozesse können genetische (regulatorische) Schaltkreise angewandt werden. Als Vorbild dieser genetischen Regelsysteme diente die Elektrotechnik.

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Alexander Fleming entdeckte 1982 lediglich durch Zufall das wohl bekannteste Medikament der Welt: Penicillin. [beobachter.ch/natur]

Zweifelsohne ist der heutige biologische Wissenstand im Vergleich zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm gestiegen. Dennoch ist nur ein Bruchteil der in biologischen Systemen auftretenden Prozesse tatsächlich verstanden. Eine Vielzahl der heutigen Erkenntnisse wurde nur oder zumindest teilweise mit Hilfe des Zufalls entdeckt. So entdeckte Alexander Fleming 1928 eher zufällig das Antibiotikum Penicillin, welches in einer ungewollt verunreinigten Bakterienkultur durch Pilze abgesondert wurde. Ohne diesen glücklichen Zufall wäre Penicillin vielleicht heute noch unbekannt. Und genau an dieser Stelle wird die Rolle genetischer Schaltkreise deutlich. Genetische Schaltkreise stellen eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, metabolische Prozesse innerhalb biologischer Systeme gezielt zu implementieren und zu steuern. Auf diese Weise können die zellulären Prozesse von Mikroorganismen angepasst (oder neue Prozesse implementiert) werden, um bestimmte Wirkstoffe, Antibiotika oder sogar komplette Medikamente herzustellen. Der Zufall als Entdecker neuer Wirkstoffe könnte zukünftig von genetischen Schaltkreisen abgelöst werden, wodurch vermehrt biologische Stoffe in der Industrie, Medizin oder Lebensmitteltechnik angewandt werden können. Analog zu elektrischen Schaltkreisen, bestehend aus einzelnen Bauteilen, werden biologische Schaltpläne aus einzelnen Bausteinen (verschiedene intrazelluläre Moleküle) konstruiert. Dabei können sogar mittels verschiedener Proteine unterschiedliche genetische Prozesse gehemmt oder induziert werden. Als einfache Veranschaulichung soll der sogenannte Flip-Flop-Schalter (auch: bistabiler Schalter) dienen. Der bistabile Schalter (sowohl in der Biologie als auch in der Elektrotechnik) hat zwei stabile Zustände. Durch Eingabesignale wird von einem in den anderen Zustand gewechselt. Der Wechsel der Zustände kann nur durch die Eingabesignale erfolgen. In Abbildung 1 ist ein Beispiel eines biologischen Flip-Flip-Schalters dargestellt. Im Wesentlichen besteht der Schalter aus zwei Genen A und B, welche jeweils ein Protein (Repressorprotein A bzw. B) codieren. Dabei kann je ein Protein das jeweils andere Gen „blockieren“, genauer den Promotor. An ein Gen, dessen Promotor gehemmt (repremiert) ist, kann keine RNA-Polymerase mehr binden. Die Folge ist, dass in den nachfolgenden Schritten kein Proteinprodukt entsteht, da die Bindung der RNA-Polymerase an das codierende Gen essentiell für die Proteinsynthese ist.

Die Steuerung des bistabilen Schalters erfolgt über spezielle Eingabesignale. Sogenannte Induktoren, wie beispielsweise Antibiotika, Vitamine oder diverse Aminosäuren, können an den Promotor binden. So kann durch Zugabe eines Induktors entweder ein aktiver Promotor gehemmt oder ein bereits inaktiver Promotor aktiviert werden.

Abb. 1: Das Modell eines Bistabilen Schalters. Das Gen A codiert das Repressorprotein A, welches dann Gen B hemmt. Anschließend wird durch Zugabe eines Induktors des Gen B, welches das Repressorprotein B codiert, expremiert, sodass Gen A gehemmt wird.

Beim Beispiel in Abbildung 1 codiert Gen A das Repressorprotein A (Hemmprotein, Rep A), welches den Promotor von Gen B repremiert (hemmt). Folglich kann Gen B kein Genprodukt (Rep B) erzeugen, solange Repressorprotein A in ausreichender Menge verfügbar ist. Der vorhandene Bestand Repressorprotein B zerfällt aufgrund zellulärer Abbauprozesse, während Protein A ständig neu synthesiert wird (da dessen Produktion nicht gehemmt ist). Dieser Fall kann als Zustand A bezeichnet werden und ist stabil, da ohne äußere Einwirkung das System in diesem Zustand verharrt. Erst durch Zugabe des Induktors A wird das Repressorprotein A inaktiviert, wodurch dieses nicht mehr den Promotor von Gen B hemmen kann. Folglich kann nun die Information auf Gen B abgelesen werden, wodurch Repressorprotein B synthetisiert wird. Das synthetisierte Repressorprotein B bindet nun an den Promotor von Gen A und hemmt diesen. Folglich kann die Information auf Gen A nicht mehr abgelesen werden und die Neusynthese von Protein A bleibt aus. Der vorhandene Bestand zerfällt, während Repressorprotein B jedoch fortlaufend nachproduziert wird. Der zweite stabile Zustand ist erreicht, da nun das System ebenfalls ohne äußere Einwirkung in diesem Zustand B verharrt. Der stabile Zustand B kann erst durch Zugabe von Induktor B verlassen werden. Induktor B inaktiviert das Repressorprotein B, welches nun nicht mehr Gen A hemmen kann. Repressorprotein A wird nun ständig neu synthesiert und hemmt im Umkehrschluss den Promotor von Gen B. Während blockierter Neusynthese sinkt die zelluläre Konzentration an Repressorprotein B. Der Ausgangszustand, Zustand A, ist wieder eingetreten und kann erst bei Zugabe von Induktor A verlassen werden. Dieses Modell des bistabilen Schalters wurde im Jahr 2000 von Gardner et al. entworfen und stellte nach erfolgreicher Implementierung in Bakterien einen Meilenstein für die synthetische Biologie dar. Es ist wichtig zu erwähnen, dass das oben beschriebene System eine starke Vereinfachung der tatsächlich im biologischen System auftretenden Prozesse ist. Bei der Implementierung des theoretischen Modells in einen lebenden Organismus treten wesentliche Änderungen auf. So handelt es sich beispielsweise bei den Umschaltvorgängen der Zustände nicht wie beschrieben um digitale Ereignisse. Außerdem besitzen die Aktivierungs- und Reprimierungsvorgänge bestimmte Zeitkonstanten, die je nach Konfiguration zwischen 15 Minuten und mehreren Stunden liegen können. Ein weiterer Punkt ist, dass keine vollständige (100%) Hemmung der Gene auftritt, da in der Realität mehrere Promotoren beteiligt sind und diese nicht alle gleichzeitig gehemmt werden können. Es findet daher trotz Hemmung einiger Promotoren immer Proteinsynthese statt, wenn auch in geringem Maße. Leider ist die Umsetzung des theoretischen Modells in ein tatsächlich funktionierendes System alles andere als einfach. Was auf dem Schaltplan wie simple aneinandergereihte Bauteile aussieht, ist in Wirklichkeit ein extrem komplexes Gefüge, bestehend aus verschiedensten zellulären Komponenten und Prozessen. Angefangen bei der Frage in welchem Sequenzabschnitt sich bestimmte Gene befinden, über die Fragen wann und wie oft ein Gen abgelesen wird, bis hin zu Fragen wie Proteine, Gene und andere molekulare Bestandteile (z.B. Transkriptionsfaktoren) tatsächlich miteinander wechselwirken, wird die Komplexität biologischer Systeme deutlich. So kann beispielsweise Protein X den Promotor M hemmen, solange Bindungsfaktor K nicht vorhanden ist. Doch kommt nun ein weiteres Protein Y hinzu, welches Protein X abbauen kann, wird der Promotor M nicht weiter gehemmt, obgleich Bindungsfaktor K nicht vorhanden ist. Natürlich darf Molekül Z nicht vergessen werden, welches urplötzlich den Zellaufschluss und damit den Tod der Zelle, einschließlich aller enthaltenen Bestandteile, bewirkt. Und überhaupt: Wer sagt einem Protein, wann, wo und wie es wirken soll? Wo genau sind all die Anweisungen für bestimmte „Verhaltensweisen“ des jeweiligen Moleküls hinterlegt? Gute Frage! Oftmals stellt es einen enormen Zeit-und Arbeitsaufwand dar, biologische Systeme zu analysieren oder detailliert zu beschreiben. Vieles ist noch unerforscht bzw. erforscht, aber schlichtweg unverstanden. Wieso sollte man überhaupt den enormen Aufwand betreiben, ein theoretisches Modell in einen lebenden Organismus zu implementieren?

Die 3D-Struktur des Antibiotikas Tetracyclin (PDB- Ligand-ID: TAC) mit seiner Moleküloberfläche. Abbildung erstellt mit der Software Chimera.

Machen wir uns die Notwendigkeit regulatorischer Schaltkreise am Beispiel des Tetracyclin-sensitiven Promotors deutlich. Die Idee hinter dieser Technologie ist ebenso einfach wie genial: Je nachdem, ob das Antibiotikum Tetracyclin anwesend ist oder nicht, können Informationen auf bestimmten Genen erfolgreich abgelesen werden oder eben nicht. Korrekt abgelesene Informationen korrelieren oftmals mit den verschiedensten Effekten. So kann beispielsweise eine erfolgreich abgelesene Geninformation einen für den Organismus nützlichen Effekt bewirken. Doch andererseits können erfolgreich abgelesene Gene auch ein hemmendes, schädigendes oder gar toxisches Produkt zur Folge haben. Ziel des auf Tetracyclin beruhenden Systems (Tet-System) ist es, gezielt Geninformationen ablesen bzw. nicht ablesen zu können. Zu diesem Zweck wird mittels Tetracyclin ein Schalter designt, welcher ein Gen entweder an – oder abschalten kann, je nachdem ob das resultierende Genprodukt erwünscht oder unerwünscht ist. Beispiele für ein erwünschtes Produkt sind z.B. diverse Verteidigungsenzyme von Bakterien gegenüber Viren, bestimmte für den Menschen nützliche Stoffe (Vitamine, o.ä.) oder Enzyme, die toxische Stoffe abbauen. Zuletzt erwähnte Enzyme können auf diese Art gezielt in Mikroorganismen produziert werden, um stark kontaminierte Landflächen zu rekultivieren. Ebenso kann die Produktion natürlicher Stoffe, welche eine positive Wirkung auf die menschliche Gesundheit besitzen, gezielt mittels Mikroorganismen erzeugt werden. Dies ist sogar dann möglich, wenn dieser Organismus diesen Wirkstoff normalerweise gar nicht synthetisieren würde. Außerdem können bakterielle Verteidigungsmechanismen verstärkt werden, um so die menschliche Darmflora resistenter gegenüber Infektionen zu machen (durch Viren oder pathogene Bakterien verursacht). Beispiele für unerwünschte Genprodukte sind z.B. Moleküle, welche pathogen oder zumindest krankheitsverstärkend wirken können. Ebenso unerwünscht sind Genprodukte, welche durch Fremd-DNA (von Viren eingeschleust) produziert werden, um das Immunsystem oder gar den gesamten Organismus zu schädigen. Bei solch unerwünschten Produkten ist es äußerst sinnvoll, das jeweilige codierende Gen mittels Tetracyclin-sensitiver Schaltkreise abzuschalten (zu hemmen).

Das Heidelberger Unternehmen TET Systems hat es sich zur Aufgabe gestellt, die auf Tetracyclin beruhenden Technik zu perfektionieren und für verschiedene Zwecke in Mikroorganismen einzubauen. Unzählige Produkte wurden bereits patentiert. Außerdem vermarktet TET Systems seine Lizenzen weltweit. Die Tetracyclin-Techniken werden beispielsweise bei der Stammzellenforschung genutzt, um frühembryonale Krankheiten bzw. Defizite besser zu analysieren. Weiterhin werden Tetracyclin-sensitive Systeme in Mäusen eingesetzt, um schwer -bis unheilbare Krankheiten (die beim Menschen auftreten) genauer zu untersuchen und zu verstehen. Während Tetracyclin-sensitive Schalter derzeit in der Krebsforschung, Kardiologie (Untersuchungen von Herzfehler -bzw. Krankheiten), Hirnforschung (neuronale Krankheiten) und zur Diabetes-Untersuchung angewandt werden, versucht man mit ähnlichen Methoden Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und der Leber zu heilen. Industrielle Anwendungen der Tetracyclin-Technik liegen im Bereich der Medizin, Pharmaindustrie, chemischen Industrie, Verfahrenstechnik, Lebensmittelindustrie sowie der Landwirtschaft. Dabei ist die Palette der Anwendungen enorm vielfältig: Entwicklung neuer Wirkstoffe bzw. Wirkstoffverbesserung, Entwicklung von Waschmittelenzymen und verfahrenstechnischen Enzymen (Erleichterung der Prozessbedingungen) sowie der Einsatz optimierter Enzyme, welche bei der Produktion von Lebensmitteln beteiligt sind. In der Landwirtschaft könnten Pflanzen resistenter gegenüber Keimen gemacht werden und dies auf rein biologische Art (ohne Einsatz von chemischen Pestiziden o.ä.). Die Liste der denkbaren Anwendungen genetischer Schaltkreisen könnte nahezu endlos weiter fortgeführt werden.

Verwendete Literatur

    • Gardner, Timothy; Cantor, Charles; Collins, James (2000): Construction of a genetic toggle switch in Escherichia coli. Nature, Vol. 403. S. 339-342
    • Nolde, Kristian; Panke, Sven (2006): Schaltungsentwurf auf DNA-Ebene. Bulletin SEV/AES 19/06. S. 25-29
    • Kleiner, Matthias; Hüttl, Reinhard; Meulen, Volker ter (2009): Synthetische Biologie, Stellungnahme. WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
    • Pühler, Alfred ; Müller-Röber, Bernd; Weitze, Marc-Denis (2011): Synthetische Biologie, Die Geburt einer neuen Technikwissenschaft. acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Springer-Verlag GmbH, Heidelberg

Internetquellen (verfügbar am 29.11.2012)

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