Selbstorganisierende multizelluläre Strukturen
von Marvin Däumler
Während der Entwicklung multizellulärer Organismen erfolgt eine Selbstorganisation von Zellen zu komplexen Strukturen, die essenziell für die richtige Funktion jener sind. Diese selbstorganisierten Strukturen unterscheiden sich stark von menschengemachten Strukturen, da sie nicht nach einer definierten kartesischen Blaupause und aus bereits bestehenden Teilen assembliert werden. Sie entstehen durch eine Serie „programmierter“ genetischer, sequenzieller Events. Für ein besseres Verständnis diese Abläufe, könnte ein synthetisches Entwicklungsprogramm zu Hilfe gezogen werden, welches den Aufbau von selbstorganisierenden Strukturen nachbildet und dirigiert. Eine Gemeinsamkeit der natürlichen Entwicklungssysteme ist die Nutzung von Zell-Zell-Signalinteraktionen zur Anregung morphologischer Reaktionen. Demnach wäre zu untersuchen, ob einfache synthetische Kreisläufe, die durch Zell Zell-Interaktion funktionieren, ausreichen, um einfache selbstorganisierende multizelluläre Strukturen zu erzeugen.
Einfaches Toolkit zur Erstellung morphologischer Programme
Als Plattform zur Erstellung neuer Zell-Zell-Signalübertragungsnetzwerke wurde der Fokus auf synthetic notch (synNotch) Rezeptorsysteme gelegt. Diese synNotch Rezeptoren bestehen aus einer kernregulatorischen Domäne des Juxtacrine Signalrezeptornotch verbunden mit chimären extrazellulären Erkennungsdomänen, wie z.B. single-chain Antikörpern, und chimären intrazellulären Transkriptionsdomänen. Wird ein passender Ligand erkannt, erfolgt die Spaltung der Transmembranregion, wodurch die intrazelluläre Transkriptionsdomäne freigesetzt wird. Diese dringt in den Nukleus ein und steuert die Expression vom Anwender festgelegter Gene. Während dieses Vorgangs kommt es bei richtiger Auswahl der Erkennungs- und Transkriptionsdomänen zu keinem cross-talk mit nativen Signalwegen.
Das angewendete Entwicklungsprogramm verknüpft die synNotch Signalübertragung fürs erste mit zwei möglichen Ausgängen der Transkription. Zum einen die Expression spezifischer Cadherin-Moleküle, für homotypische Zell-Zell-Adhäsion und differentielle Sortierung. Zum anderen die Expression neuer synNotch Liganden. Dafür werden zwei verschiedene synNotch Rezeptor-Liganden-Paare genutzt. Das erste Paar ist ein anti-CD19-single-chain Antikörper als Rezeptor und das B-Lymphozyten-Antigen CD19 als Ligand. Bei dem zweiten Paar dient ein anti-grün fluoreszierendes Protein Nanokörper als Rezeptor, während GFP als Oberflächenligand fungiert.
Die Cadherinexpression der Zellen führt zu einer morphologischen Sortierung der Zellen, wodurch die Nachbarschaftsverhältnisse geändert wurden. In Folge dessen kommt es zu einer Änderung der übertragenen synNotch Signale. Mit der daraus folgenden Expression neuer synNotch Liganden kommt es zu einer nachfolgenden Phase neuer Zell-Zell-Signale, das heißt, dass beide Ausgänge der Transkription regulatorische Ausgaben, durch diese neuen Interaktionen zwischen den Zellen, propagieren.
Mit dem synNotch-Programm wird dadurch auch die Expression verschiedener Fluoreszenzproteine gesteuert. Die unterschiedlichen Farben dienen dann als Indikator für die Differenzierung der Zellen zu einem „neuen“ Zelltyp.

Getestet wurde das Programm in L929 Fibroblasten von Mäusen, welche normalerweise lockere und zufällig organisierte multizelluläre Aggregate bilden. Geprüft wurde, ob das synthetische Programm zu einer höheren Ordnung an Selbstorganisation führte.
Durch kontinuierliche Weiterentwicklung des grundlegenden Schaltkreises sollte dieser näher an natürliche Abläufe der Zellorganisation gebracht werden. Dieser Entwicklungsverlauf wird schematisch in Abbildung 2 mit den entstehenden Strukturen abgebildet. Zuerst wurde der grundlegende Schaltkreis ausgebaut um eine zweischichtige Struktur und anschließend eine dreischichtige Struktur erzeugen zu können. Nachdem diese beiden Versuche geglückt waren, wurden weitere Versuche unternommen, die diesen Standardschaltkreis zu modifizieren, z.B. durch Einführung lateraler Inhibition oder die Expression verschiedener Adhäsionsmoleküle.

Selbstorganisation von interagierenden Zellen zu einer zweischichtigen Struktur
Für diesen Versuchsteil wurden zwei verschiedene Zelltypen hergestellt. Eine Senderzelle (Zelltyp A), welche den synNotch Liganden CD19 und das blau fluoreszierende Protein (BFP). Die Empfängerzelle (Zelltyp B) exprimierten den anti-CD19-synNotch-Rezeptor und die Antwortelemente. Diese Elemente sind Gene für E-Cadherin (Ecad) und das grün fluoreszierende Protein (GFP). Die beiden Zelltypen interagieren miteinander, wenn sie co-kultiviert werden, die B-Zellen werden aktiviert und exprimieren Ecad, sowie GFP. Damit entsteht ein Zelltyp C, welcher sich zu einem dichten Kern selbstorganisiert und vom A-Zelltyp umgeben ist. Es entsteht eine wohldefinierte zweischichtige Struktur (siehe Abb. 3).

Wird die Ecad Expression nicht induziert, bleiben die Zellen von Typ A und Typ B vermischt. Die Inhibierung der synNotch Signalweiterleitung mit DAPT unterbindet ebenfalls die Selbstorganisation in eine zweischichtige Struktur.
Selbstorganisation in eine dreischichtige Struktur durch eine bidirektionale Signalkaskade
Für die Selbstorganisation zu einer dreischichtigen Struktur wurde eine weitere Ebene der wechselseitigen Zell-Zell-Signalisierung hinzugefügt. Zelltyp B wurde so angepasst, dass er zusätzlich oberflächengebundenes GPF exprimiert. Dieses dient als synNotch-Ligand für einen sekundären synNotch und Fluoreszenzreporter für den neuen Zelltyp. Der sekundäre synNotch- Rezeptor wird vom modifizierten A-Zelltyp exprimiert. Bei einer Aktivierung dieses folgte die Expression von geringen Mengen E-Cadherin zusammen mit mCherry als Reporter für die Visualisierung des neuen Zelltyps. Die Interaktion zwischen den beiden Zelltypen führt zu einer wechselseitigen zweischrittigen Signalkaskade. Der CD19 Ligand an den A-Zellen aktiviert den anti-CD19-synNotch an den B-Zellen und induziert somit die Expression von GFP und großen Mengen an Ecad. Das GFP wiederum aktiviert den anti-GFP-synNotch des A Zelltyps und induziert damit die Expression von mCherry und geringen Mengen von Ecad.
Die vorhergesagte Struktur sollte einen grünen Kern, mit höchster homotypischer Adhäsion, eine blaue äußere Schicht und eine neue Population roter Zellen als Mittelschicht aufweisen. Bei der Co-Kultivierung von 200 A-Zellen und 40 B-Zellen bildete sich innerhalb von circa 40 h eine dreischichtige Struktur. Zuerst erfolgte die Induktion der grünen Zellen, welche den Kern der Struktur formierten. Anschließend bildete sich die rote Mittelschicht. Die Kaskade der Zellsortierung und anschließenden umgekehrten Signalisierung führt zu einer Differenzierung der Typ-A-Zellen zu zwei verschiedenen Zellstadien.
Demnach besitzt das synthetische Programm eine signifikante Sortierkraft. Es generiert eine höhere Anzahl an Zelltypen, führt zu einer räumlichen Sortierung in drei deutlich getrennte Kompartimente und einer Abnahme der Entropie der Struktur relativ zum Beginn. Viele der beobachteten Eigenschaft der erhöhten Selbstordnung ahmen das Verhalten natürlicher Entwicklungssysteme nach.

Auch hier kann die Selbstorganisation der Zellen, durch Unterdrückung der synNotch Signalübertragung, blockiert werden. Dabei kommt es zu keiner Differenzierung zu verschiedenen Zelltypen und es erfolgt auch keine Sortierung der Zellen. Wird die E-Cadherin Expression blockiert, ist eine Differenzierung, aber keiner Sortierung der Zellen zu beobachten. Es ist also eine Kopplung von Signalweiterleitung und Zellsortierung nötig für die Zelldivergenz und räumliche Neuanordnung.
Tests verschiedener Eigenschaften
Um zu testen, ob die erzeugte selbstorganisierte Struktur reproduzierbar ist, wurden 28 Co- Kulturen (jeweils 200 Typ-A-Zelle und 40 Typ-B-Zellen) kultiviert. In den meisten Wells (57%) formte sich ein einzelnes dreischichtiges Sphäroid. In anderen Wells wurde die Bildung von dreischichtigen Zwillingsmultikernsphäroiden (21%) und mehreren unabhängigen dreischichtigen Sphäroiden (11%) beobachte. In also ~90% der Wells bildete sich eine dreischichtige Struktur. Diese Strukturbildung blieb auch mit Veränderung der Anzahl der Startzellen bestehen. Nur bei wenigen Startzellen des Typ A bildeten sich zweischichtige Strukturen aus roten und grünen Zellen.
Natürliche selbstorganisierte Gewebe weisen des Weiteren die Fähigkeit der Regeneration nach einer Verletzung auf. Die synthetische Struktur sollte diese Fähigkeit auch besitzen. Um zu testen, wie die dreischichtige Struktur auf eine Verletzung reagiert, wurde sie in zwei Teile zerschnitten, sodass die grünen Zellen des Kerns an die Oberfläche gelangten. In 24 h waren diese wieder von roten und blauen Zellen umgeben und das Sphäroid regeneriert. Ob die Struktur reversibel ist wurde getestet, indem DAPT in das Well gegeben wurde. Innerhalt von drei Tagen löste sich die Struktur auf und die Zelltypen vermischten sich untereinander.

Selbstorganisation einer zweischichtigen Struktur aus einem einzelnen Genotyp
Durch laterale Inhibition können bistabile Zellschicksale, aus einem einzelnen Startzell- Genotyp, erzeugt werden. Ein Beispiel dafür ist die Kreuzrepression zwischen einem Notch- Rezeptor und dem Liganden in der benachbarten Zelle. In die Zellen wurde ein entsprechender Inhibitorschaltkreis eingebaut. Die Zellen codieren gleichzeitig für den CD19 Liganden und den anti-CD19-synNotch-Rezeptor, welche antagonistisch zueinander sind. Kommt es zur Signalübertragung über den synNotch, wird in der Empfängerzelle die Expression des Tet-Repressors (tTs) induziert, wodurch CD19 Expression reprimiert wird. Erfolgt also die Stimulation des synNotch einer Zelle mit hoher CD19 Expression, durch eine benachbarte Zelle, kommt es in Folge dessen zur Repression der CD19 Expression und die Zellen werden gezwungen sich zu einer Sender- oder Empfängerzelle zu entwickeln. Die Zellschicksale werden durch Reporter überwacht, exprimiert die Zelle den CD19 Liganden, färbt sie sich durch mCherry rot. Exprimiert die Zelle tTs, färbt sie sich grün. Um eine räumlich geordnete Struktur zu erzeugen, erfolgte die Kombination der beiden Schaltkreismodelle, durch die Bindung der E-Cadherin Expression an den synNotch, welcher auch die Expression des Tet-Repressors kontrolliert.
Je 100 Zellen des roten Zelltyps wurden pro Well kultiviert. Es entwickelte sich ein Sphäroid, in welchem sich zuerst ein rot-grünes Schachbrettmuster bildete. Mit verlauf der Zeit bildete sich daraus anschließend eine zweischichtige Struktur, mit den grünen Zellen im Inneren und den roten Zellen herum. Diese Struktur war über 100 h stabil.

Die Addition des Inhibitors DAPT unterband die Aufteilung in die beiden Zellschicksale. Nach Entfernung des Inhibitors konnten sich die Zellen dennoch in die beiden Schicksale aufteilen und die zweischichtige Struktur bilden.
Nach den Erkenntnissen dieses Versuches ist es also möglich ein synthetisches Programm zu erstellen, bei dem sich ein einziger Zellgenotyp in zwei Zellschicksale aufgabelt und sich räumlich in multiple Schichten selbstorganisiert.
Sphärische asymmetrische Strukturen aufgrund unterschiedlicher Zelladhäsionsmoleküle
Ein Merkmal der natürlichen Metamorphose ist der Bruch der Symmetrie. Die Programmierung asymmetrischer Strukturen mit den bereits verwendeten Signalkaskaden ist möglich, indem die exprimierten Adhäsionsmoleküle ausgetauscht werden. Wenn verschiedene Untergruppen von Zellen, welche dasselbe Adhäsionsmolekül (Ecad) in unterschiedlichen Mengen exprimieren, erstellt, bildet sich eine sphärische, symmetrische, dreischichtige Struktur. Die Zelltypen müssen also unterschiedliche Cadherine mit hoher homotypischer und niedriger heterotypischer Affinität exprimieren, so teilen sich die Zellen in zwei räumlich getrennte Populationen auf. Im Versuch wird diese Funktion durch N-Cadherin (Ncad) und P-Cadherin (Pcad) erfüllt. Diese beiden Adhäsionsmoleküle wurden in den Schaltkreis der dreischichtigen Struktur eingeführt. Die A-Typ-Zellen induzierten die Expression von Ncad und dem GFP-Liganden in den B-Typ- Zellen. Wechselseitig induzieren diese die Expression von Pcad, mCherry und des anti-GFP- synNotch in den A-Typ-Zellen.

Bei der Co-Kultivierung von je 100 Zellen beider Zelltypen exprimierten zuerst die B-Zellen Ncad und GFP, während später die A-Zellen neben den aktivierten B-Zellen Pcad und mCherry exprimierten. Es bildeten sich non-sphärische, symmetrische, dreischichtige Strukturen um ein bis drei Pole roter Zellen. Nicht aktivierte A-Typ-Zellen bildeten den Rand der Struktur. Mit weniger Startzellen, ca. 30 Zellen beider Typen, erfolgte eine reproduzierbare, asymmetrische Assemblierung der Struktur um einen einzigen Pol, da die Reduzierung der Startzellzahl die Chancen der Bildung mehrerer unabhängiger Pole verringert.

Dieser „Schaltkreis“ wurde für einen weiteren Versuch so angepasst, dass die A-Typ-Zellen den CD19-Liganden und anti-GFP-synNotch, an welchen die Expression des blau fluoreszierenden Proteins gebunden ist. Gleichzeitig exprimierten die Zellen konstitutiv Pcad zusammen mit mCherry. Die B-Typ-Zellen blieben unverändert (Expression von anti-CD19- synNotch und GFP-Ligand). Die A-Typ-Zellen formten zuerst ein zusammenhängendes Aggregat, anschließend fingen die B-Typ-Zellen an N-Cadherin und GFP zu exprimieren.

Es bildete sich ein von den A-Zellen getrennter grüner Überstand. An der Grenze der A- und B- Zellen begann dann die synNotch-Signalübertragung. Es kam zur Expression von BFP und Bildung einer dünnen, blauen Trennschicht zwischen den beiden Zellaggregaten.
Es wurden weitere „Schaltkreise“ getestet, welche zur Selbstorganisation verschiedener Strukturen, die sphärische Symmetrie durch Expression verschiedener, selbstrennender Adhäsionsmoleküle brechen, führten. Bei Anfangskonditionen mit wenigen Startzellen konnten verschiedene Strukturen, mit einer einzelnen polaren Achse, reproduzierbar erzeugt werden. Die morphologischen Veränderungen der Strukturen können durch Expression verschiedener Adhäsionsmoleküle und den Zeitpunkt derer Expression erzielt werden.
Konklusion
Die Diversität, Komplexität und Robustheit mit denen die Selbstorganisation der Strukturen erfolgte deutet auf eine hohe Ordnungskraft der vereinfachten Zell-Zell- Signalisierungsprogramme hin. Dabei wurde eine cyclische Abfolge von Events beobachtet, so induzieren die initialen Zell-Zell-Interaktionen eine morphologische Umordnung, welche zu neuen Zell-Zell-Interaktionen führten, welche weitere morphologische Verfeinerungen nach sich zogen. Aufgrund der zunehmenden Zell-Typ-Diversifizierung durch die Zell-Zell- Signalkaskaden, entstehen komplexe Strukturen. Diese können auch in Abwesenheit vieler molekularer Komponenten aus natürlichen Entwicklungsprozessen, wie z.B. membrangängige Morphogene, entstehen. Es ist möglich die genutzte synthetische Plattform zur Inkorporation dieser zusätzlichen Elemente zu erweitern, womit die Möglichkeit gegeben wäre komplexere multizelluläre Strukturen zu erzeugen.
Es war zu beobachten, dass selbst minimale „Schaltkreise“ die Zell-Zell-Signalübertragung und Zelladhäsion kombinierten zur Formierung von definierten und selbstorganisierten Strukturen führte. Dies könnte als Hilfe zur Aufklärung der Mechanismen der Entstehung multizellulärer Organismen dienen und eventuell auch die Ursprünge der Zelladhäsion klären.
Die Ergebnisse suggerieren zudem die Möglichkeit der Herstellung synthetischer Gewebe, Organe und anderer nicht-nativer Typen dynamischer, multizellulärer Materialien. Werkzeuge wie synNotch, eventuell sogar verbessert durch den „Werkzeugkasten“ der modularen Entwicklungssignale könnten die Konstruktion selbstorganisierter gewebeartiger Biomaterialien erlauben.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Herangehensweise und Werkzeuge, der synthetischen Zell-Zell-Signalisierung, starke Instrumente für die systematische Nachforschung und ein besseres Verständnis der Prinzipien, welche die Selbstorganisation und Entwicklung beeinflussen, ermöglichen.
Quelle
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- Toda, S., Blauch, L. R., Tang, S. K. Y., Morsut, L., & Lim, W. A. (2018). Programming self- organizing multicellular structures with synthetic cell-cell signaling. Science, eaat0271. doi: https://10.1126/science.aat0271