Angepasste Zell-Signalkreisläufe
von Christoph Bloß
Lebende Zellen sind hochdynamische Systeme, die komplexe molekulare Signalkreisläufe nutzen, um äußere und innere Zustände zu überwachen und die entsprechenden physiologischen Reaktionen ausführen zu können. Wie die vom Menschen geschaffene logische Gatter enthalten diese zellulären Signalkreisläufe Entscheidungsfindungssysteme, die als Sensoren und Prozessoren fungieren (wie z.B. Rezeptoren und ihre nachgeschalteten Effektoren), die letztlich verschiedene Zellantworten (wie Gentranskription) steuern. In diesem Abschnitt wollen wir uns auf die synthetische Biologie der Signalweitergebung konzentrieren und betrachten wie Zellen dazu konstruiert werden können, ein bestimmtes Signalverhalten auf zu weisen. Da Signalverarbeitungsnetzwerke in Zellen in einer dreidimensionalen Umgebung funktionieren, steuern sie auch komplexe räumliche oder morphologische Zellreaktionen. Wir wollen zusammen untersuchen, wie Signalkreisläufe mit präzisem Antwortverhalten erzeugt werden können. Da kommen Fragen auf, warum eigentlich diese komplexen Netzwerke anwenden wollen und wie sind (im Groben) die bisherigen Methoden zur Implementierung? Warum sollte man Zellsignale konstruieren? Das ist eine berechtigte Frage! Doch bevor wir in einige speziellere Beispiele abtauchen, die diese Frage erklären und das Potential der synthetischen Biologie zeigen können, wollen wir uns die Beweggründe für die technische Anwendung von Zellsignalen anschauen.

Der Versuch, ein neues Signalverhalten in Zellen zu schaffen, kann als ein kühnes und törichtes Ziel erscheinen, da wir noch kein vollständiges oder gar zuverlässig vorhersagbares Verständnis der natürlichen Signalkreisläufe der Zellen haben. Die Technik der Zellsignalisierung ist jedoch nicht einfach ein Prozess zur Anwendung eines bereits gut entwickelten Verständnisses, sondern sie bietet einen Ansatz für das "learning by doing" Prinzip. Dieser, zur traditionellen Biowissenschaft, inverse Ansatz konzentriert sich darauf, wie einzelne molekulare „Bausteine“ zu einem komplexen System zusammengesetzt werden können. Da wir derzeit über vollständig sequenzierte Genome und eine gewaltige Menge an Proteomdaten verfügen, fehlt es uns nicht an einer vollständigen Liste der molekularen Bausteinchen, sondern vielmehr an einem Verständnis dafür, wie diese Teile auf funktionell kohärente Weise zusammengefügt werden können. Die Entwicklung neuer Zell-Signalnetzwerke bietet einen Ansatz, um das Verständnis der molekularen Organisationsprinzipien komplexer Systeme (Zellen, Organe, Organismen) zu verstehen. Mit synthetischen Ansätzen können viele Arten von Veränderungen - alternative Netzverknüpfungen, die Abstimmung der Verknüpfungsstärke, das Hinzufügen neuer Verknüpfungen - systematisch untersucht werden, um zu testen, welche Netze mit diesem interessierenden Verhalten kompatibel sind. Wenn man das natürliche Netzwerk seziert oder einen einzelnen erfolgreichen Schaltkreis konstruiert, ist es unwahrscheinlich, dass man ein tieferes und dynamisches Verständnis der funktionalen Landschaft erhält, dass eine vollständigere und systematischere Erforschung synthetischer Schaltkreise liefern kann. Signalverhalten von Zellen zu manipulieren, so dass sie eine präzise Antwort auf ein Eingangssignal ausdrücken, hat besonders bei therapeutischen Anwendungen ein großes Potential. Therapeutische Immunozellen werden schon heute in der Medizin angewandt, zumindest für klinische Tests. June CH et al haben Lymphozyten für den Einsatz in Therapien modifiziert. Es werden dem Patienten Zellen von Interesse entnommen, diese werden genetisch verändert, ex vivo (also außerhalb des Patienten) vermehrt oder wie man im Fachjargon sagt expandiert und zurück auf den Patienten übertragen.
Eines der wichtigsten Werkzeuge zur Neuverkabelung des Zellverhaltens wird die Fähigkeit sein, neuartige Sensoren und Rezeptoren für gezielte Eingaben zu entwickeln. Diese sind jedoch die am wenigsten charakterisierten Elemente bei der Entwicklung von Zellsignalen, da das schiere Menge möglicher Inputs so ungeheuer groß ist und es oft die Herausforderung mit sich bringt, mit relativ komplexen membranassoziierten Membranproteinen zu arbeiten. Natürliche Rezeptoren, die spezifische endogene (aus den umliegenden Zellen oder Zellumgebung) Inputs erkennen, können so konstruiert werden, dass sie einen nicht-natürliche Output erzeugen. Ein Beispiel dafür, dass ein nativer Rezeptor so umgebaut wird, so dass eine neuartige Transkriptionsreaktion hervor geruft wird, ist der Ansatz mit dem Rezeptorprotein Notch. Notch ist ein Transmembranrezeptor, der das Delta-Protein erkennt, das auf benachbarten Zellen präsentiert wird, ein kritischer Zell-Zell-Kommunikationskanal in der Entwicklung und Differenzierung. Wenn das Delta-Protein das Rezeptorprotein Notch bindet, wird die Notch-Transmembranregion durch eine Membranprotease gespalten, wodurch die C-terminale Notch-Domäne in das Zytoplasma freigesetzt wird. Diese Domäne kann in den Zellkern eindringen und die Gentranskription aktivieren. Zur Veranschaulichung ist in der Abbildung 2 ist der Aufbau des Notch- Rezeptors schematisch dargestellt.

Die Familie der Notch- Rezeptoren umfasst eine Gruppe von Typ-I-Transmembranproteinen mit ähnlicher Architektur und modularer Anordnung der Domänen. Ein "kanonischer" Notch-Rezeptor besteht aus einer großen extrazellulären Domäne (NECD) und einer etwas kleineren intrazellulären Domäne (NICD). Die NECD besteht aus bis zu 36 tandemartig angeordneten, (epidermal growth factor) EGF-ähnlichen Wiederholungen, gefolgt von drei ähnlich angeordneten Lin12-Notch (LN)- Wiederholungen. Der NICD enthält die RBPJk-assoziierte Molekülregion (RAM) in der Juxtamembranregion (d.h. in der Zellmembrannähe), gefolgt von sieben Ankyrin-Wiederholungen (ANK), einer mutmaßlich transaktivierenden Domäne und einem C-terminalen PEST-Motiv. Die EGF-ähnlichen Repeats enthalten die Ligandenbindungsstellen des Rezeptors, während die LN-Repeats an der Verhinderung der ligandenunabhängigen Signalübertragung beteiligt sind. Struhl et al. konnten zeigen, dass das Notch-Rezeptor-Transkriptionsfaktor-Modul durch einen synthetischen Transkriptionsfaktor (Gal4-AD) ersetzt werden kann. Wenn dieser chimäre Notch-Rezeptor in vivo aktiviert wird, können neue Transkriptionsfaktoren nachgeschalten werden. Barnea et al. haben das Notch- Strategie erweitert, indem sie neuartige Transkriptionsausgaben für andere Rezeptoren entwickelt haben, die normalerweise diese Art von Protease-Aktivierungsmechanismus nicht nutzen. Wenn G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) durch ihre spezifischen Liganden aktiviert werden, rekrutieren sie oft β-Arrestin, dass an der Herunterregulierung der GPCR-Signalübertragung beteiligt ist. Sie fusionierten das Arrestin mit einer hochspezifischen Protease des Tabakätzvirus (TEV), so dass es zu aktivierten GPCRs mitrekrutiert wurde. Ein synthetischer Transkriptionsfaktor wurde ebenfalls mit dem zytoplasmatischen Schwanz des GPCR fusioniert, der durch eine TEV-Spaltstelle verbunden war. Wenn das manipulierte GPCR-Fusionsprotein durch seinen endogenen Liganden aktiviert wird, rekrutiert es den Arrestin-TEV-Proteasepartner, der die Transkriptionsfaktor-Domäne vom GPCR spaltet und freisetzt, wodurch es in die Nuklease eindringen und Zielgene aktivieren kann.

Dieses System wurde erfolgreich eingesetzt, um neue Transkriptionsreporter mit der Aktivierung einer breiten Palette spezifischer GPCRs zu verbinden. Die Reaktion ist aufgrund der Spezifität der TEV-Spaltung äußerst genau. Im Prinzip könnte diese Strategie dazu verwendet werden, jedes endogene GPCR-vermittelte Signal mit der Expression der gewünschten Zielgene zu verknüpfen. Barnea et al. setzten diese Strategie auch ein, um die Signale der endogenen Rezeptor-Tyrosinkinase (RTK) mit neuartigen Transkriptionspfaden zu verknüpfen! Die meisten RTKs aktivieren, ihre Kinase-Domänen, die die Autophosphorylierung auf zytoplasmatischen Tyrosinen vermitteln, um SH2-Domäne enthaltende Proteine zu rekrutieren. Hier wurde die TEV-Protease an rekrutierte SH2-Domänen fusioniert, und ein synthetischer Transkriptionsfaktor wurde durch die TEV-Protease-Spaltstelle an den zytoplasmatischen Schwanz des RTKs fusioniert. Also ein kleiner zusammengestellter Funktionsbaustein, wenn man so will. Die RTK-Aktivierung führt also zur Rekrutierung der SH2-TEV-Fusion (also des Bausteins), zur Freisetzung des rezeptor-assoziierten Transkriptionsfaktors und zur manipulierten Gen-Transkription. Bemerkenswert ist, dass diese einfache modulare Strategie auf verschiedene Rezeptorklassen angewendet werden kann, solange diese bei Aktivierung ein spezifisches Partnerprotein rekrutieren.
Die Evolution hat diese und geschätzt unendlich viele unterschiedliche Arten von dynamischer Innovation und präziser Techniken der zellulären Funktion erreicht und das über einen Zeitraum von schon fast mehreren Milliarden Jahren. Wir fangen erst an zu verstehen, wie man diese Art von Funktionalität einsetzen kann. Wir haben ein gutes grundlegendes Verständnis der Logik der zellulären Signalmaschinerie und der Quellen der funktionellen Plastizität. Ich denke wir werden in den nächsten Jahren noch viele weitere spannende Mechanismen verstehen und auch als bald wissen wie man sie einsetzen kann. Der erste Zellbaukasten wird wohl noch eine Weile auf sich warten lassen, doch ich bin zuversichtlich, dass wir auch das Meistern werden.
Literaturverzeichnis
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- Barnea et al. The genetic design of signaling cascades to record receptor activation. Proc Natl Acad Sci U S A. 2008; Vol. 105. Issue 1, pp 64-69, doi: 10.1073/pnas.0710487105
- D. G. Gibson et al. Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome. American Association for the Advancement of Science 2010: vol. 329 no. 5987 52-56
- C.H. June, Blazar BR, Riley JL. Engineering lymphocyte subsets: tools, trials and tribulations. Nat Rev Immunol. 2009;9(10):704-716. doi:10.1038/nri2635
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- Struhl G, Adachi A. Nuclear access and action of notch in vivo. Cell 1998; Vol. 93, Issue 4, pp 649–660, doi: 10.1016/S0092-8674(00)81193-9