Synthetische Biologie

Die Minimalzelle

von Helena Greif und Katja Köpke

Ziel der synthetischen Biologie ist es die Natur mittels neuer Technologien gerichtet zu verändern und zu optimieren. Vor allem sollen Mikroorganismen mit Eigenschaften, wie sie in der Natur nicht zu finden sind, hergestellt werden. Beispiele für den Einsatz solch neuartiger Mikroorganismen wären das Aufspüren pathogener Veränderungen im Körper (Medizin-Biomarker), Schadstoffe im Boden unschädlich machen (Bioremediation) oder neuartige Energieträger zu erzeugen. Es gibt viele Spekulationen und Visionen über den möglichen Einsatz. Um letztlich einen „Eierlegenden Wollmilchsau Mikroorganismus“ zu entwickeln ist es notwendig genauere Kenntnisse über molekulare Prozesse von natürlich vorkommenden Zellen zu besitzen. Die synthetische Biologie befasst sich deshalb unter anderem mit der Ermittlung von Grundlagenwissen und der Voraussetzung zur künstlichen Generierung lebensfähiger Zellen [URL-1]. Darauf basierte die Idee der Erschaffung eines Minimalorganismus. Ein Minimalorganismus besteht aus einer Zelle mit der geringsten Zahl von Genen. Sie sichern der Zelle ausschließlich lebensnotwendige Funktionen, wie Zellteilung, Wachstum und Vermehrung unter definierten Bedingungen. Zum einen liefert eine Minimalzelle die Information für die Lebensfähigkeit einer Zelle und gibt Aufschluss über regulatorische Mechanismen auf genetischer und metabolischer Ebene. Ein anderer Aspekt der Entwicklung solcher Organismen ist die Erfüllung der Zelle zugeteilter Aufgaben. In der Herstellung von Ethanol durch die Backhefe Saccharomyces cerevisiae würde es heißen, dass sie ausschließlich Ethanol produzieren würde mit Verzicht auf andere Matabolite, die sie sonst zu einem der anwendungsreichsten Organismus machen. Die gesamte Energie der Zelle soll nur zur Vollbringung „programmierter“ Aufgaben verwendet werden. Oder es können genetische Komponente, als Legobausteine vorzustellen, für gewünschte Stoffwechselleistungen eingebaut und im Hinblick auf eine effiziente Produktion optimiert werden. Das ermöglicht die Verwendung von Minimalzellen für unterschiedliche biotechnologische Produktionsprozesse.

Zur Entwicklung von Minimalgenomen kann ein top-down- oder ein bottom‑up-Ansatz gewählt werden (siehe Abbildung). Beim top-down-Ansatz erfolgt gezielte Reduktion vorhandener Erbinformation durch Ausschaltung der Gene. Während beim bottom-up-Ansatz das Minimalorganismus aus einzelnen Komponenten und DNA- Stücken von Grund auf neu aufbaut wird [Honnefelder & Sturma 2010].

Eine der führenden Forschungsgruppe auf dem bottom‑up- Minimalzellentwicklung ist die Craig Venter-Gruppe. Sie haben ein vollständiges Genom von Bakterium Mycoplasma genitalium synthetisch generiert. M. mycoides ist als Lungenerregen bei Rindern bekannt und besitzt eines der kleinsten Genome [Gibson et al. 2008]. Die Synthese erfolgte durch den Zusammenbau kleiner Sequenzen zu Kassetten, welche anschließend in dem Darmbakterium Escherichia coli und in der Hefe Saccharomyces cerevisiae zusammengesetzt wurden. Mittels einer speziell entwickelter Verpflanzungsmethode [Lartigue et al. 2009] konnte das synthetische Genom in die Bakterienzelle integriert und das M. genitalium „zum Leben erweckt” werden. In der nächsten Arbeit wurde das Mycoplasma mycoides-Genom synthetisiert und in das Mycoplasma capricolum transplantiert. Nach Vermehrung der Zellen, konnte die vollständige Übernahme der M. mycoides-Zelleigenschaften festgestellt werden [Gibson et al. 2010].

Beim top-down-Ansatz wird zunächst ein Mikroorganismus ausgewählt, das sowohl mit einem kleinen Genom ausgestattet ist, als auch leicht kultivierbar und gentechnisch gut „handhabbar“ ist. Danach wird er einem großem Mutationsprogramm unterworfen. Auf diese Weise werden Gene und Genregionen entfernt, die für nicht essenzielle Eigenschaften in dem Organismus verantwortlich sind. Zum Beispiel wurden mittels gentechnischer Methoden Bereiche des Erbgutes ausgeschaltet, welche die Nutzung variabler Nahrungsquellen erlaubten [Honnefelder & Sturma 2010]. Die Herstellung minimaler Genome wurde bereits an Bakterien Escherichia coli [Pósfai et al. 2006], Bacillus subtilis [Morimoto et al. 2008] und Corynebacterium glutamicum [Suzuki et al. 2005] sowie an der Hefe Saccharomyces cerevisiae [Murakami et al. 2007] durchgeführt. So konnte das Genom vom E.-coli-Stamm K-12 um das 1/5 unter Beibehaltung der Lebensfähigkeit reduziert werden.

Zur Konstruktion einer Minimalzelle kann top-down-Ansatz (links) oder bottom-up-Ansatz(rechts) gewählt werden. Beim bottom-up kann die Zellhülle aus synthetisierter Lipidmembran oder aus Protozellen bestehen, die nachhinein mit gewünschter DNA und notwendigen Zellkomponenten "gefüllt" wird. Molekularer Schalter steuert die zellulären Prozesse, um unter anderem die Produktsynthese und die biologische Sicherheit zu gewährleisten.

Die Erschaffung alles neuen, wie dies im bottom-up- Ansatz der Fall ist, erfordert ein enormes Wissen über das Zusammenspiel der einzelnen molekularen Zellmaschinerien und dessen Bestandteile. Zurzeit wird effektiv an der synthetischen Herstellung wichtiger Gensequenzen gearbeitet und es wird noch viele Jahre der Forschung einnehmen. Als Hilfsmittel der Veranschaulichung soll ein Minimalorganismus so simuliert werden, dass der Erkenntnisgewinn, für die Erschaffung einer optimierten Minimalzelle in „Realität“, genutzt werden kann. Eine Möglichkeit, die komplexe Dynamik des zellulären Metabolismus eines Mikroorganismus zu simulieren, bietet die Informatik. Im Zeitalter der Informatik mit boomenden Nutzungsmöglichkeiten von Multimedia Equipments (Computer, Internet, Suchmaschinen, Softwarepaketen) ist es einfacher geworden, biologische Informationen und Daten schnell abrufbar und für weitere Forschungs-Projekte nutzbar zu machen. So entstand das E-Zell-Projekt (virtuell, simulierter Mikroorganismus), dass ein Sammelsurium einer Vielzahl von Teilprojekten ist. Selbige stehen in enger Kooperation mit einander und erforschen Daten über einzelne Zelltypen, Organellen oder bestimmten Verhaltensweisen von Mikroorganismen.

Für die reproduzierbare Erschaffung einer E-Zelle war es vorerst wichtig eine Art gemeinsame „Sprache“ unter der Verwendung eines „Baukasten“ aus standardisierten Bauteilen zu erschaffen. Rasante Fortschritte vor allem im Bereich der DNA Synthese, welche einhergeht mit sinkenden Kosten und steigender Geschwindigkeit, ermöglichen es solch normierte Bauteile schnell und präzise zu erschaffen. Heute sind wir bereits in der Lage im Reagenzglas (in vitro) lange DNA-Abschnitte nachzubauen.

Für die erste Simulation eines hypothetischen, selbstüberlebenden Minimalorganismus erwies sich M. genitalium (ca. 485 Gene) als idealer Ausgangspunkt. In Vorarbeiten wurden über bioinformatische Methoden die Funktionen von ca. 80% der Mycoplasma-Gene ermittelt. Mittels dieser Informationen gelang es eine virtuelle Mycoplasma- Minimalzelle zu konstruieren, mit insgesamt 127 Genen (105 für Proteine, 22 für RNA). Davon 120 aus Mycoplasma, ergänzt durch 7 Gene aus E.coli. Allgemein besteht die virtuelle Zelle aus Reaktionsräumen den sogenannten Kompartimenten. Bestimmte Substanzen dienen dabei als Substrat, Produkt oder Katalysator (u.a. Proteine, DNA, RNA, kleine Moleküle). Des Weiteren existieren Subkategorien für Sequenzfragmente und Komplexe (Bindungsstelle und Operator). In einem Substanz-Reaktor-Modell (programmierbares Objekt) der E-Zelle können nun benutzerdefinierte Reaktionen abgerufen und simuliert werden. Beispiele für simulierte Reaktionen sind u.a. enzymatische Transformationen, Komplexassoziationen bzw. –dissoziationen und Transportprozesse. Jede simulierte Reaktion läuft innerhalb von Millisekunde ab. So ist es möglich in der virtuellen Mycoplasma-Zelle die Glykolyse zu simulieren und ATP (Adenosintriphosphat) als Energiemetabolit herzustellen. Die E-Zelle ist geschrieben in der objektorientierten Programmiersprache C++. Es erleichtert die unabhängige Entwicklung der Simulationsmaschinerie, der Benutzer-Interfaces und dem Zellmodell [Lorenz 2002].

Wenn man den Sicherheitsaspekt betrachtet, so bietet die Minimalzelle gegenüber den Wildtypzellen einige Vorteile. Zum einen wird bei der „Konstruktion“ der Zelle darauf geachtet, dass es nicht pathogen gegenüber der Umwelt ist. Zum anderem bedingt die geringe Genomgröße einen angepassten Lebensstil. Die Vermehrungsfähigkeit von Minimalzellen in der natürlichen Umwelt ist stark reduziert. Außerhalb ihrer Rahmenbedingungen sind sie dem Tode geweiht, da Gene für die Anpassung an die geänderte Bedingungen fehlen. Jedoch kann die Missbrauchsgefahr solch eines „Eierlegenden Wollmilchsau Mikroorganismus“ nicht ausgeschlossen werden. Eine Reihe von Regularien bzw. Verordnungen auf nationaler und internationaler Ebene versucht deshalb den Missbrauch von neuen Technologien zu verhindern. Diese Regularien werden freiwillig durch Selbstverpflichtungen aus Forschung und Industrie zusätzlich unterstützt. Ein Beispiel aus 2008, ein sogenannter Verhaltenskodex, für die Arbeit mit hochpathogenen Mikroorganismen veröffentlicht durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft [URL-1].

Die Entwicklung von Minimalzellen und künstlichen Genomen wird der Geburtsstunde der Synthetischen Biologie gleichgesetzt. Die Craig Venter-Arbeit hat zwar ein chemisch synthetisiertes Genom hervorgebracht für den die natürliche Genomsequenz von M. mycoides sowie M. capricolum-Zelle verwendet wurden. Um aber in der Synthetischen Biologie vom künstlichen Leben zu sprechen, müsste man fordern, dass man die Genomsequenz am Computer entwickelt und für die Transplantation des chemisch synthetisierten Genoms auch eine chemisch hergestellte Zelle nutzt. Wann solch eine Verwirklichung die Publik machen wird ist noch unbekannt, destotrotz bleibt es in den nächsten Jahrzehnten die Entwicklung künstlich generierten Lebens sehr spannend.

Literaturnachweis

  • Gibson et al. (2010) Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome. Science 329(5987), 52-56.
  • Honnefelder & Sturma (2010) Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik. Stellungnahme der DFG, acatch und Leopoldina zur Synthetischen Biologie. Band 5, De Gruyter Verlag.
  • Lartigue et al. (2009) Creating Bacterial Strains from Genomes That Have Been Cloned and Engineered in Yeast. Science 325 (5948), 1693-1696.
  • Lorenz (2002) E-Cell: Software-Umgebung zur Simulation ganzer Zellen, Studienstiftung des deutschen Volkes, Sommerakademie St. Johann.
  • Morimoto et al. (2008) Enhanced recombinant protein productivity by genome reduction in Bacillus subtilis. DNA Res.15, 73–81.
  • Murakami et al. (2007) Large scale deletions in the Saccharomyces cerevisiae genome create strains with altered regulation of carbon metabolism. Appl. Micr. Biotechnol. 75, 589–597.
  • Pósfai et al. 2006) Emergent properties of reduced-genome Escherichia coli. Science 312, 1044–1046.
  • Suzuki et al. (2005) New multiple-deletion method for the Corynebacterium glutamicum genome, using a mutant lox sequence. Appl. Env. Micr. 71, 8472–8480.